JYOTI NACHHALTIGKEITSBERICHT 2020-2022
Es ist so weit, nach mehr als 12 Jahren Jyoti – Fair Works, schreiben wir unseren ersten Jahresbericht. In den letzten Jahren lag unser ausschließlicher Fokus auf der Weiterentwicklung unserer Arbeit in Deutschland und Indien, sodass wir ihn immer wieder vor uns hergeschoben haben. Jetzt aber ist er fällig. All die unheimlich reichen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren sammeln und die Erfolge, die wir gemeinsam feiern durften, verdienen es aufgeschrieben zu werden.
Dieser Bericht soll euch helfen unsere Arbeit noch besser zu verstehen und so haben wir ihn ganz übersichtlich in 5 Abschnitte unterteilt.
- Unsere Unternehmensstruktur und was sich im letzten Jahr verändert hat
- Jyoti in Indien – unsere Arbeit vor Ort
- Jyoti in Peru – auf zu neuen Ufern
- Nachhaltigkeit endet nicht mit der Produktion – Jyoti-Circular
- Der Jyoti e.V. und seine Projekte
1. Unsere Unternehmensstruktur
2022 war ein aufregendes Jahr für uns – voller Neuanfänge, Herausforderungen und Veränderungen. Die sicherlich größten Veränderungen waren die Umstrukturierung unsere Arbeit in Indien und die Eröffnung unseres ersten „richtigen“ Ladens, einem Concept Store for female*led, sustainable brands in Berlin.
Zunächst nach Indien: Während es Jyoti – Fair Works in der Vergangenheit nur als deutsche Firma und den dazugehörigen deutschen Verein, den Jyoti e.V., gegeben hat, besteht seit Ende 2021 nun auch unsere Indische Firma, die JFW LLP. Unter der Geschäftsführung ihrer Anteilhaberin Sunandha Pinnamraju und mit Sitz in Hyderabad, Indien, stellt die JFW LLP nun unser gesamtes indisches Team an und ist mit der Organisation unserer Produktion beauftragt. Ein großer Schritt, da unsere indischen Teammitglieder bis dato über unsere indischen Partner NGOs beschäftigt waren und so nun endlich auch rechtlich Teil unseres direkten Teams geworden sind. Ein wichtiges Argument für die Gründung der indischen Firma war zudem die Unabhängigkeit unserer Mitarbeiterinnen vor Ort. So beginnen wir nun Schritt für Schritt auch Aufträge anderer Labels und Unternehmen anzunehmen – in dem Bestreben die Sicherung der Arbeitsplätze nicht allein auf den Erfolg von Jyoti – Fair Works zu stützen. Solltet ihr also selbst über eine eigene Kollektion nachdenken oder Unternehmen kennen, die auf der Suche sind, sind wir die richtige Adresse. Stolz können wir bereits jetzt von der erfolgreichen Produktion für das Schweizer Label Jungle Folk und das Label Tiija berichten.
Natürlich hat dieser Wandel einiges an Arbeit mit sich gebracht, inzwischen aber können wir uns gar nicht mehr vorstellen, wie es vorher war.
links: Sunandha, Geschäftsführerin unserer indischen Firma / rechts: Capsule-Kollektion mit Jungle Folk
Bilder unten: Unser Concept Store für Frauen*geführte, nachhaltige Brands
Ganz ähnlich verhält es sich mit unserem neuen Berliner Laden. Seit der Eröffnung Anfang Mai 2022, hatten wir bereits unzählige wunderbare Begegnungen mit euch und freuen uns sehr euch unsere Stücke nun auch endlich zum Anfassen und Anprobieren anbieten zu können. Denn, ohne zu dick auftragen zu wollen, unsere handgewebten Stoffe sind schon etwas ganz Besonderes und kommen live und in Farbe einfach am besten zur Geltung.
2. Jyoti in Indien
Jetzt haben wir schon über unser indisches Team gesprochen, es aber noch gar nicht vorgesellt. Seit unsere Gründung im Jahr 2010 ist unser Team beständig gewachsen. Während alles in dem kleinen Süd-Indischen Örtchen Chittapur begonnen hat, leiten wir inzwischen 3 Nähwerkstätten mit aktuell 25 festangestellten Näherinnen. 16 Frauen arbeiten in unserer Werkstatt in Chittapur, 6 in Londa und 3 in der Hauptstadt Telanganas, Hyderabad (v. links nach rechts)
Die letzten Wochen hat unsere Gründerin Jeanine mit ihnen verbracht, unzählige gemeinsame Chais getrunken, über neue Ideen, Wünsche und Veränderungsansätze gesprochen – ein Austausch, der für uns eine absolute Voraussetzung ist, um wirkliche faire und sozial nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen.
Faire Arbeitsbedingungen, das bedeutet für uns:
- Die Zahlung eines living wages = also ein Gehalt von dem gut leben kann und darüber hinaus ausreichend Geld zur Verfügung hat um für größere Investitionen, zum Beispiel die Studiengebühren der Kinder, sparen zu können
- Ein Recht auf Vereinigung
- Bezahlter Urlaub
- Krankheitstage
- Elternzeit
- Ein sicherer, komfortabler Arbeitsplatz
- Nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche
- Mitspracherecht und -möglichkeit
Besonders stolz sind wir darauf, dass ein Großteil unserer ersten Mitarbeiterinnen aus dem Jahr 2010 noch immer Teil unseres Teams sind und mit großer Begeisterung die Neuankömmlinge ausbilden. Im Jahr 2022 haben wir so sehr erfolgreich 3 neue Näherinnen aufnehmen können.
Wichtiger Bestandteil unserer Arbeit in Indien ist jedoch nicht nur die Zusammenarbeit mit unserem indischen Team, sondern auch die mit unseren Partner*innen entlang der tieferen Wertschöpfungskette. Vom ersten Kleidungsstück an war es unser Ziel ganz genau zu wissen wo, wie und von wem unsere Stoffe hergestellt werden. Auf unzähligen Zugreisen durch Indien und im Laufe der Jahre haben wir immer mehr über die verschiedensten, allesamt beeindruckenden, Webtechniken der zahlreichen Regionen Indiens gelernt und tolle Partner*innen gefunden. Inzwischen zählen wir 8 langjährige Partner*innen – allesamt kleine Familienbetriebe, Kooperativen, NGOs oder Sozialunternehmen – die wir regelmäßig treffen, mit denen gemeinsam wir Farben, Muster und Strukturen entwerfen und von denen wir immer wieder Neues lernen. 90% dieser Stoffproduzent*innen weben per Hand, sicherlich nicht die schnellste Art Stoff zu produzieren, aber wunderbar um möglichst ressourcenschonend zu arbeiten, sowie traditionelles Kunsthandwerk und damit eine große Bevölkerungsgruppe Indiens zu stärken. Ganz zu schweigen von dem wunderbaren und industriell nicht zu erzeugenden Ergebnis.
Bilder unten: Weber Kanti, einer unserer langjährigen Partner in Bhuj, West-Indien
Während wir von Anfang an ausschließlich mit natürlichen Fasern wie Baumwolle, Seide, Hanf und Flax arbeiten, haben wir im Jahr 2022 erstmals einen Anteil unserer Stoffe aus recycelter Baumwolle weben lassen können – ein großer Erfolg, durch den eine erhebliche Menge Wasser eingespart werden konnte und den wir mit viel Energie weiterverfolgen.
3. Jyoti in Peru
Nachdem wir im Jahr 2020 unsere erste kleine Baby-Alpaka-Strickkollektion in Kollaboration mit dem Schweizer Fair Fashion Label Jungle Folk gelauncht haben, konnten wir unsere Zusammenarbeit mit peruanischen Produzentinnen stetig ausbauen und im Herbst/Winter 2022 erstmals eine umfangreiche Pullover- und Accessoires-Kollektion für euch produzieren.
Huch, Peru? Fragt sich jetzt vielleicht der/die ein oder andere unter euch? Ja, genau. Nachdem wir viele Jahre nach wirklich nachhaltiger Wolle, die auch allen Tierrechtsstandards stand hält, in Indien gesucht haben, sind wir (tatsächlich über eine unserer indischen Partner NGOs) auf die großartigen Baby-Alpaka Produzent*innen in Peru aufmerksam geworden und könnten jetzt nicht glücklicher mit der Zusammenarbeit sein.
Ganz ähnlich wie in Indien arbeiten wir in Peru ausschließlich mit kleinen Familienbetrieben oder NGOs. Die absolute Mehrheit unserer Stücke kommt dabei von der peruanischen NGO Dia Manta (gefördert von Solid Crafts). Ursprünglich ein Shelter für jugendliche, alleinerziehende Mütter, hat Dia Manta über die Jahre ein Team von über 200 Peruanerinnen aufgebaut, die in ihrer Anstellung als Strickerinnen eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben gefunden haben. Neben der Schaffung stabiler, fairer Arbeitsplätze investiert die NGO Dia Manta ihre Gewinne in die Begleitung und Betreuung minderjähriger Mütter und in Aufklärung und Präventionsarbeit rund um das Thema Teenage-Schwangerschaften.
Bilder unten: Zu Besuch bei DiaManta, Nov. 2022
Neben dem Bestreben die wertvolle Arbeit von Dia Manta zu unterstützen, hat uns auch die Haltung der Alpakas in den peruanischen Anden absolut überzeugt. Denn, sie leben ausschließlich frei und werden nur einmal alle 2 Jahre, sehr schonend, geschoren. Viele von euch haben uns schon gefragt, warum wir das Fell der Baby-Alpakas verwenden und ob das keine Belastung für die kleinen Tiere sei? Hier können wir euch beruhigen. Die Bezeichnung Baby-Alpaka weist nicht auf das Alter der Alpakas hin, sondern bezeichnet das unheimlich weiche, perfekt isolierende, kurze Unterhaar der erwachsenen Alpakas.
Bilder unten: Jeanine bei den Alpaka-Farmer:innen in den peruanischen Anden, Nov. 2022
Im November 2022 konnten wir uns nun endlich auch ganz persönlich von der Haltung der Tiere und der Arbeit von Dia Manta und unseren 3 anderen Partnerproduzent*innen – 3 kleinen, frauengeführten Familienbetrieben, überzeugen und sind restlos begeistert. Wir hoffen also, diese Zusammenarbeit über die nächsten Jahre immer weiter stärken und euch so noch ganz viele langlebige und hochwertige Baby-Alpaka-Strickstücke anbieten zu können.
4. Jyoti – Circular und Zero Waste
2020 wurden weltweit über 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert – das sind doppelt so viele wie in 2005. Gleichzeitig ist die Nutzungsdauer von Kleidung um 40% gesunken. Textil-Abfall ist folglich einer der Hauptgründe dafür, dass die Textilindustrie der zweitgrößte Umweltverschmutzer auf der Welt ist – direkt nach der Öl-Industrie.
Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, Jyoti – Circular ins Leben zu rufen.
Angesichts der Unmengen an Müll, die die Textilindustrie jedes Jahr produziert, sind wir der Auffassung, dass es nicht mehr reicht, NUR fair und ökologisch nachhaltig zu produzieren. Wir sind überzeugt, dass wir ein zirkuläres System brauchen. Aber was bedeutet das? Circular Fashion (Kreislaufwirtschaft in der Modeindustrie) ist das Konzept, Mode-Artikel mit der Intention von Langlebigkeit und Nachhaltigkeit zu entwerfen, zu produzieren und zu beziehen. Für die Produktion werden ausschließlich schadstofffreie, erneuerbare, biologisch abbaubare und recycelbare Ressourcen verwendet. Durch gute Pflege, Wiederverwendung, Reparatur, Wiederverkauf und Neudesign sollen die Produkte so lange wie möglich genutzt werden und zwischen mehreren Nutzer*innen zirkulieren. Wenn das nicht mehr möglich ist, sollen die Produkte recycelt werden, indem sie zu neuen Produkten verarbeitet oder kompostiert werden, um umweltschonend in die Biosphäre zurückzukehren.
Uns unserer Verantwortung bewusst, bieten wir euch neben unseren regulären Kollektionen Jyoti Second-Hand Stücke sowie Prototypen und Kleidungsstücke mit kleinen Makeln an. So ermöglichen wir unseren Produkten ein möglichst langes Leben, statt sie einfach in den Tiefen der Kleiderschränke zu vergessen oder auf Grund kleiner Besonderheiten ein tristes Leben in unserem Lager führen zu lassen.
Da der Onlineverkauf von Einzelstücken sehr viel Aufwand bedeutet, den wir mit unserem kleinen Team momentan nicht bestreiten können, bieten wir unsere Jyoti-Circular Stücke aktuell in unserem Laden in der Oderberger Straße 42 in Berlin an. Hier haben wir eine separate Stöberecke für all die aus der Reihe tanzenden Schätze und wir freuen uns, wenn du vorbeikommst!
Du hast auch ein Jyoti-Stück, das dir vielleicht nicht mehr passt? Dann sende es uns sehr gerne zusammen mit dem ausgefüllten Jyoti-Circular Formular und wir nehmen es in den Jyoti-Kreislauf auf. Sobald es ein neues zu Hause gefunden hat, erstatten wir dir 50% des Widerverkaufspreises oder geben dir die Möglichkeit diese Summe an unseren gemeinnützigen Jyoti e.V. zu spenden.
5. Der Jyoti e.V.
Apropos Verein =).
Mit dem Ziel unseren indischen Teammitgliedern in Chittapur, Londa und Hyderabad Weiterbildungsmöglichkeiten, Trainings und Sozialleistungen, die über das gewöhnliche Maß eines fairen Modeunternehmens hinausgehen, anbieten zu können, haben wir 2018 in enger Zusammenarbeit mit unseren indischen Partner NGOs Jyothi Seva Kendra (Chittapur) und Nava Chetana Kendra (Londa), den Jyoti e.V. gegründet. Durch die Finanzierung und Planung von Workshops in Bereichen wie Arbeitnehmer*innenrechte, Frauenrechte, Business development, sowie Englisch- und Alphabetisierungskursen, haben die Frauen die Möglichkeit sich entsprechend ihrer Interessen weiterzubilden, wichtige Schritte in Richtung eines noch unabhängigeren Lebens zu gehen und sich vielleicht sogar selbstständig machen zu können. Des Weiteren organisiert der Verein Ausflüge, sowie Veranstaltungen zu verschiedensten Themen und unterstützt unsere Partner NGOs in Notsituationen, wie zum Beispiel den großen Überflutungen in 2019 oder der Corona-Krise in 2020.
Aber warum Unternehmen und Verein und nicht einfach eine gemeinsame Struktur? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir etwas weiter ausholen, denn lange hat sich uns bei Jyoti die Frage gestellt, wie wir wahrgenommen werden wollen und viel wichtiger, wie wir selbst uns begreifen.
Begonnen hat alles mit einem Praktikum in dem kleinen indischen Ort Chittapur. Durch ihre Arbeit bei der indischen NGO Jyothi Seva Kendra hat unsere Gründerin Jeanine Einblicke in die oft sehr schwierigen Lebenssituationen, besonders von Frauen, vor Ort bekommen. Für diese fehlten vor allem berufliche Möglichkeiten und dadurch eine stabile Einkommensquelle. Die Idee einer kleinen Nähwerkstatt war schnell geboren – weniger mit dem Bestreben Mode zu kreieren als vielmehr mit der Motivation nachhaltige und langfristige Job-Perspektiven für eine wachsende Gruppe von Frauen zu schaffen. Was fehlte waren jegliche Näh-Kenntnisse, sowohl auf deutscher als auch auf indischer Seite.
Heute sieht das ganz anders aus. Die Frauen haben sich zu erfahrenen und professionellen Näherinnen entwickelt und auch unser Team in Deutschland hat sich um einige Expert*innen erweitert. Nachhaltige und zeitlose Kleidung und Accessoires zu produzieren, ist heute nicht nur noch Mittel zum Zweck, sondern absolutes Kernanliegen von Jyoti – Fair Works. Wir möchten aktiv an einer positiven Veränderung der Modeindustrie mitwirken und eine Vorbildfunktion einnehmen.
Durch die institutionelle Trennung von Verein und Unternehmen möchten wir diese Entwicklung unterstreichen. Während sich das Unternehmen Jyoti – Fair Works fairen und nachhaltigen Produktionsbedingungen auf höchster Qualitätsstufe, entlang der gesamten Lieferkette, verschrieben hat, ist der Jyoti e.V. für die weitere Verwirklichung unseres Ursprungsgedankens – der Förderung von Frauen in Chittapur und Londa – zuständig.
So sichert der gemeinnützige Jyoti e.V. nicht nur den Fortbestand der weiterführenden Angebote für die Näherinnen, sondern ermöglicht es uns, unsere Partner NGOs in Ihrer Arbeit unabhängig von den Nähwerkstätten zu unterstützen und ihnen besonders in Notsituationen zur Seite stehen zu können.
Wir und besonders auch unsere Partner NGOs Jyothi Seva Kendra und Nava Chetana Kendra freuen uns sehr, wenn ihr die Arbeit des Vereins mit einer Spende unterstützen wollt und können euch auf Wunsch selbstverständlich eine Spendenbescheinigungen ausstellen. Kontaktiere uns dazu einfach unter KONTAKT(AT)JYOTI-EV.ORG
Was uns noch wichtig ist zu sagen: Wir sind uns bewusst, dass wir hier in Europa von einer sehr privilegierten Situation profitieren, die zu großen Teilen auf Kolonialismus und der (bis heute andauernden) Ausbeutung anderer Staaten, zu denen auch Indien gehört, basiert. Es ist uns sehr wichtig klarzustellen, dass die Spenden, die über den Verein nach Indien fließen keine Wohltätigkeit sind, sondern ein Versuch im kleinen Rahmen global gerecht zu handeln und dass unsere Arbeit keine Hilfeleistung ist, sondern eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, in der wir alle aufeinander angewiesen sind.
Der Jyoti e.V. soll in keiner Weise eine Institution darstellen, die globale Machtstrukturen in ihrer aktuellen Form erhält und wir hoffen und arbeiten dafür, dass die Notwendigkeit für gemeinnützige Vereine wie unsere durch globale Gerechtigkeit auf politischer sowie gesamtwirtschaftlicher Ebene abgelöst wird.