Vom What’s-App-Terror bis zu Jyotis Schmuckkollektion
Seit diesem November verkaufen wir auch unsere erste, eigene Schmuckkollektion. Sie wurde von unserem Team in Berlin entworfen und anschließend nach traditioneller Machart von indischen Kunsthandwerkern handgefertigt. Das Design des Schmucks ist eine Anspielung auf das abgeflachte „O“ in unserem Logo. Das „O“ soll eine aufgehende Sonne andeuten und greift damit die Bedeutung des indischen Wortes „Jyoti“ – zu Deutsch „aufgehendes Licht“ – wieder auf. Damit wird das Logo zum Symbol für Selbstbestimmtheit und die Entwicklung von Stärke.
Wie genau unsere Kollektion entstanden ist, wollen wir euch gerne in Form eines Interviews näherbringen und zwar mit der Frau, die die Brücke zwischen uns und den Goldschmieden in Indien geschlagen hat. Viel Spaß beim Lesen!
Ich begebe mich in den Hinterhof eines Wohnhauses in Neukölln, um Stefanie Bühler, eine Schmuckhändlerin, Künstlerin und vor allem aber auch Lebenskünstlerin, zu treffen. Sie ist die Frau, die die Brücke zu den Goldschmieden gebildet hat. Wir treffen uns in ihrem Atelier, das gleichzeitig ihre Wohnung ist. Das Zimmer, in dem wir uns treffen, ist wunderbar eingerichtet und scheint mir ein Beleg für eine vorhandene Liebe zum Detail zu sein. Kleine Stoffborten verzieren unschöne, kalte Kanten an Möbelstücken und Klangschalen, die Stefanie ebenso neben dem Schmuck verkauft, werden zur kunstvollen Dekoration und schaffen eine wohlige Wärme und Offenheit im Raum. Stefanie begrüßt mich herzlich, umgeben von Utensilien, die sie bereits für die Weihnachtsmarktsaison vorbereitet. Mit verschränkten Beinen setzen wir uns auf den Boden und beginnen unser Gespräch…
Julia Eder (JE): Wie seid Jeanine und du dazu gekommen, gemeinsam an einer Kollektion zu arbeiten? [Anm. der Verf.: Jeanine Glöyer ist die Gründerin von Jyoti – Fair Works]
Stefanie Bühler (SB): Jeanine und ich kennen uns seit 4 Jahren. Wir haben uns auf einem Markt kennengelernt und festgestellt, dass wir beide in Indien agieren. Daher kam es zunächst letztes Jahr dazu, dass es meine Kollektion auf der Webseite von Jyoti gab. Ja und dieses Jahr nun die Schmuckkollektion von Jyoti selbst! Sie wird übrigens in einer Silberschmiede in Pushkar, Rajasthan, gefertigt.
JE: Rajasthan ist da, wo das Goldschmiedehandwerk traditionell gemacht wird?
SB fügt begeistert hinzu: Gelebt wird! Die haben auch tatsächlich eine Silbermine dort. Das Silber kommt also direkt aus Rajasthan. In Indien ist es ja so, dass sich das Kunsthandwerk ganz entsprechend der jeweiligen Bodenschätze entwickelt hat. Also in Rajasthan zum Beispiel gibt es Silber und Edelsteine. Es ist ein Wüstenstaat. Und deswegen haben sich da die Goldschmiede angesiedelt.[Anm. der Verf.: Der Begriff „Goldschmied“ bezeichnet das Handwerk. Silber ist – wie Gold – ein Material. Daher können Goldschmiede auch Silber verarbeiten.] So hat sich das Handwerk dort entwickelt. Und in anderen Regionen, wie zum Beispiel in Gujarat, wird Baumwolle angebaut [Anm. der Verf.: Dort befinden sich auch die Weber, mit denen Jyoti zusammenarbeitet.]. Da ist dementsprechend das Textilhandwerk ziemlich groß und wichtig.
Und Rajasthan ist eben der Staat des Schmuckes. Dort bin ich auch auf diese Kunsthandwerker gestoßen. Sie haben eine kleine Manufaktur und wenn man da reinkommt, sitzen da die Leute mit ihren Hämmerchen und diesen Platten, auf die sie immer einschlagen. Und sie arbeiten mit ganz feinen Instrumenten, mit denen sie den Schmuck gravieren, und auch mit Schleifmaschinen. Du siehst, das ist wirklich alles Handarbeit!
Nachdem SB eines der Schmuckstücke gezeigt hat, setzt sie begeistert fort: Und wieviel Talent da auch dahintersteckt! Da sind Familientraditionen im Spiel. In Indien gibt es ja Kasten [Anm. der Verf.: In Indien wurde das Kastensystem mit der Verfassung von 1949 abgeschafft. Dennoch wird es bis heute noch im Alltag praktiziert.]. Eine Kaste kann man in der deutschen Geschichte vielleicht mit einer Gilde vergleichen. In einer Gilde gab es traditionelles Handwerk und da lernte der Sohn das, was der Vater gemacht hat. Das war hier in Deutschland früher also genau das gleiche.
JE: Und die Kaste hat vermutlich auch mit dem Beruf, den man machen kann, zu tun?
SB bestätigt: Ja, genau, das ist es eben. Es gibt ganz viele verschiedene Kasten. Es gibt religiöse Kasten, es gibt aber auch berufliche Kasten. Und wenn deine Familie aus der Kaste der Goldschmiede kommt, dann wirst du Goldschmied. Ja und so ist es eben in Rajasthan auch. Aus dieser Manufaktur, in der auch die Ohrringe für Jyoti gemacht werden, da kommt auch zum Beispiel dieses Paar Ohrringe her.
SB zeigt ein Paar Ohrringe und fährt fort: Da bin ich jetzt seit 5 Jahren. Das ist eine Familie und die kenne ich auch sehr, sehr gut persönlich. Wenn ich da bin, dann bin ich da auch immer zum Essen bei denen zuhause. Es ist ein ganz persönlicher, ein ganz herzlicher Kontakt. Und die sind schon auch krass gewachsen in den letzten Jahren. Also das ist echt auch wunderschön anzusehen, dass die durch ihr altes Handwerk auch ganz moderne, junge Menschen erreichen können. Das sind aber tatsächlich hauptsächlich Leute aus dem Ausland. Die Inder können sich dafür nicht so begeistern. Die finden dann wieder das toll, was hier im Westen angesagt ist. Die trinken alle Coca Cola, gehen zu Mc Donald’s und tragen knallige Plastikohrringe. Aber wir hier wertschätzen ja dieses traditionelle Handwerk auch so, weil das in unserer Gesellschaft etwas ganz Besonderes geworden ist. Ich sehe mich da ehrlich gesagt auch als eine Art Botschafterin, um eine Brücke zu schlagen zu unserer Welt und Gesellschaft hier, die auch nicht mehr so viel Gespür dafür hat, für diese Kunst und dieses Handwerk, aber trotzdem schon auch die Qualität erkennt. Wenn ich so etwas auf dem Markt verkaufe, da sehe ich bei meinen Kunden leuchtende Augen, weil man so Sachen nicht bei H&M an der Stange findet. Vielleicht etwas, was ein bisschen ähnlich ist, aber nicht in der Qualität…
JE: Wie ist denn die Kollektion von Jyoti entstanden? Du hattest im Vorgang unseres Interviews eine Kommunikation per Facebook und What’s App erwähnt. Ist sie so entstanden oder bist du nach Rajasthan gereist?
SB: Beides, ja. Ich bin da hingereist. Ich wusste von Jeanine schon vorher, dass sie ein paar Ideen hatte. Die hatte sie mir aufgezeichnet vor meiner Reise. Da gab es zum einen ein collageartiges „Brainstorming Spreadsheet“ mit Bildern und zum anderen Zeichnungen mit Maßen vom Ring und den Ohrringen. Und damit bin ich dann losgezogen zu der Familie in Indien, die diesen Schmuck macht. Ich habe ihnen die Sachen gezeigt und sie meinten „Das können wir machen. Das können wir machen.“ Danach ging der „What’s-App-Terror“ los. Jeanine war, glaube ich, zu dem Zeitpunkt in einem Meeting. Das lustige in Indien ist, dass dann alles immer ganz, ganz schnell gehen muss. Ich hatte Wochen vorher schon per What’s App kommuniziert, dass ich diese Schmuckstücke gerne hätte. Aber da passiert nichts. Das ist einfach die indische Mentalität. Das muss man wissen. Das darf man nicht verurteilen. Das ist einfach so. So aus der Ferne ist es schwierig. Man muss vor Ort sein und sagen „Ok, jetzt!“ und dann geht’s los! Und dann geht alles ganz, ganz schnell. Im 10-Minuten-Takt haben sie dann immer wieder noch ein neues Schmuckstück gemacht. Ich habe Jeanine immer das Bild geschickt von dem Prototypen, den sie gerade angefertigt hatten, und Jeanine hat zurückgeschrieben: „Mach hier noch einen Zentimeter weniger.“ oder „einen Zentimeter mehr“ oder „hier flach und da rund“. Die haben das dann sofort umgesetzt und 10 Minuten später war der neue Prototyp entwickelt. Wir haben quasi „im Livestream“ eine Kollektion entwickelt! Das habe ich so auch noch nie erlebt!
JE: Das hört sich unglaublich spannend an, Stefanie! Danke für diese wunderbaren Einblicke in die Entstehung unserer Kollektion! Und danke für deine Zeit!
SB: Sehr gerne! Es hat Spaß gemacht!
Entspannt von dem Ambiente beim Interview und inspiriert von der Entstehungsgeschichte unserer Schmuckkollektion kehre ich wieder zurück an meinen Schreibtisch im Jyoti-Büro und setze meinen Arbeitstag fort.
Wenn ihr noch mehr über Stefanie und ihre Produkte erfahren wollt, besucht einfach ihre Seite Perelin-Berlin!
Außerdem findet ihr Stefanie noch bis Weihnachten auf diversen Weihnachtsmärkten in Deutschland und der Schweiz. Auch diese Informationen gibt es auf ihrer Seite zu finden.
Photos: Janosch Kunze
Model: Camille Zoe